Samstag, 20. April 2019
Der Staat in Deutschland am Sterbebette
Der Staat am Sterbebette

Es geht durch die Medien: das Bundesverfassungsgericht befasst sich derzeit mit einem knappen Dutzend Verfassungsbeschwerden gegen das im Jahre 2015 eingeführte strafrechtliche Verbot sogenannter „geschäftsmässiger“ Sterbehilfe, den § 217 StGB. Schon die Formulierung „geschäftsmässig“ ist eine bewusste un vorsätzliche Irreführung der Bürgerinnen und Bürger, denn viele glauben aufgrund dieser Formulierung, es gehe um Sterbehilfe mit der Zielsetzung Einnahmeerzielung. Dies ist völlig falsch. „Geschäftsmässig“ bedeutet in diesem Zusammenhang lediglich „mit Wiederholungsabsicht“, die Absicht, Einnahmen oder Gewinn zu erzielen spielt keine Rolle.
Diese extrem unmenschliche Rechtslage in Deutschland wurde durch ein Änderungsgesetz vom 3. Dezember 2015 in das Strafgesetzbuch eingefügt und ist seit 10. Dezember in Kraft. Das Gesetz hat damals die Debatte um die Sterbehilfe, Suizidbeihilfe und Palliativmedizin zu beenden versucht, indem es von allen diskutierten Vorschlägen den restriktivsten, freiheitsfeindlichsten und obrigkeitsstaatlichsten umsetzte. Wie üblich geschah dies unter großem Moralin- und Argumentationsaufwand und natürlich mit den allerbesten Absichten. Es gab (mindestens) drei Gesetzesvorschläge mit unterschiedlich restriktiver Handhabung. Der am meisten rückwärtsgewandte, am meisten bevormundende, am wenigsten menschenfreundliche wurde Gesetz. Es war dies der Gesetzentwurf von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD). Wie üblich folgte die SPD den Vorgaben der CDU.
Eine breite Mehrheit der Bürger hätte sich - laut zahllosen Umfragen und Untersuchungen - anders entschieden. So viel Vertrauen in die Vernunft ihrer Untertanen aber wollten die GesetzgeberInnen nicht aufbringen. Die letzte Freiheit wurde wegbefohlen. (Zitat aus: „Fischer im Recht“ ZEIT-Online). In Deutschland steht der Staat selbst am Sterbebette.
Wie unmenschlich diese Gesetzgebung sich auswirkt, zeigt sich am besten an einem praktischen Beispiel. Ein Mensch, der z. B. an einer Lungenkrankheit leidet, durch die immer weniger Sauerstoff in seine Blutbahn gelangt, weiß, dass sein Tod qualvoll sein wird. Er wird langsam ab er sicher ersticken. Eine Hilfe, die ihn von langen Qualen erlösen könnte, wird ihm in Deutschland verwehrt. Ob und wieweit die Medizin ihm helfen kann, seine Qualen zu ertragen, ist sehr zweifelhaft.
In Deutschland darf sich ein Todkranker von seinen Qualen selbst erlösen, indem er durch Nahrungsverweigerung Selbstmord begeht, er kann sich, falls noch möglich, vor einen Zug werfen, ein humaner Schritt zum selbstbestimmten Tod ist in Deutschland nicht möglich.
Abgesehen von der Unmenschlichkeit dieser Gesetzgebung stellt das Verbot der Sterbehilfe auch einen Verstoß gegen das grundgesetzlich festgeschriebene Selbstbestimmungsrecht des Menschen dar. In Deutschland darf ein Mensch nicht selbstbestimmt sterben. Wie bereits gesagt: in Deutschland steht der Stat selbst am Sterbebette.
Wie das Verfassungsgericht entscheiden wird, bleibt abzuwarten. In Nachbarstaaten mit einer demokratisch und liberal orientierten Grundeinstellung, wie Holland, Belgien, der Schweiz ist Sterbehilfe unter streng formalisierten und geprüften Voraussetzungen möglich. In einer freien Gesellschaft kommt es auf den freien Willen der Bürgerinnen und Bürger an, sollte man meinen. Aber beim Sterben entscheidet in Deutschland der Staat über uns. Warum nicht auch in Deutschland Regelungen möglich sind wie in den Nachbarstaaten, die das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen ernst nehmen, ist nur schwer begreiflich. .

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